
Ein tröstlicher Spruch besagt, dass wenn sich eine Tür schließt, sich eine neue dafür öffnet. Umgekehrt gilt es aber auch: Öffnet sich eine Tür, ist der andere Zugang verschlossen. Nie stehen einem alle Möglichkeiten zur Verfügung und manche schließen sich auch so aus, wie bei einem genialen Autisten, dessen überragende mathematischen Talente in dem Maße schwinden, in dem seine sozialen Fähigkeiten zunehmen. Man muss sich entscheiden. Als wir uns für die wissenschaftliche Art, die Welt zu betrachten, entschieden haben, sind wir durch eine solche Tür gegangen. Seitdem ist uns die Welt entzaubert, der intuitive, der magische Weg der Welterkennung mehr oder weniger unmöglich. Das haben die Romantiker zu Beginn der Industrialisierung erkannt und beklagt. Dass wir diesen Verlust heute kaum mehr spüren, hängt auch damit zusammen, dass wir die Sprache des Subtilen nicht mehr benutzen, die der Blumen so wenig wie die der Bilder im Märchen. Macht nichts, denken wir und schauen einfach bei Wikipedia ihre Bedeutung nach. Dann sind wir zwar klüger, aber wenn wir uns mit ihr nicht mehr verständigen können, weil niemand sie mehr spricht, bleibt es eine tote Sprache, deren Wesen uns fremd bleibt. Was uns das Maiglöckchen also mitteilen will, oder uns der Wald hinter unserem Haus vielleicht mit seinem sich weit ausdehnenden Maiglöckchenteppich durch die Blume sagt, fühle ich daher nicht, aber dass es mit Unschuld zu tun hat, habe ich gelesen und das erscheint mir ganz passend. Und immerhin bleibt mir noch die Freude an ihrem Anblick, wie man auch manchmal den melodischen Klang einer fremden Sprache genießt ohne sie zu verstehen, gelegentlich aber doch noch einzelne Wörter erkennt. Und so rudimentär spreche ich auch die Blumensprache. Schenkt mir jemand eine rote Rose, weiß ich was gemeint ist. Immerhin! Ein Sträußchen Maiglöckchen würde mich dagegen inzwischen stutzig machen: Wer will mich da von seiner Unschuld überzeugen?
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