Gönnen können

Direkt vor unseren Augen gibt es eine Welt, die spielt sich ganz ohne Geld ab. Was in unserer Gesellschaft undenkbar ist, funktioniert im Tierreich ganz gut: Mein und Dein gibt es, wenn überhaupt, dann nur für die kurze Zeit des tatsächlichen In-Besitz-nehmens. Es müssen keine Eigentumsverhältnisse geregelt werden, niemand zieht Zäune oder stellt Schilder auf. Wohl werden Reviere besetzt und verteidigt, aber nur so viel wie man selbst benötig. Sich mehr zu sichern und unterzuvermieten fiele keinem Tier ein. Alles gehört allen, alles ist nur geliehen. Ein Unrechtsbewusstsein bleibt den Tieren daher auch in Bezug auf den Menschen, der seinen Garten gern sein Eigen nennt, erspart. Tier nimmt sich was es braucht und was da ist. Besonders wenig Respekt haben unsere Eichhörnchen. Sie schlüpfen sogar durch das angelehnte Fenster des kleinen Häuschens, stibitzen Filzwolle und tragen sie hoch oben in die Kiefer zu ihrem Kobel. Bunter, weicher und wärmer haben Eichhörnchenkinder niemals gelegen. Es kommt auch kein Tier auf die Idee, das einmal Erbeutete oder das erfolgreich Gesammelte gegen Lohn oder Dienste abzugeben, schon gar nicht auf ein Geschäft hinzuarbeiten. Unsere Eichhörnchen könnten leicht einen schwunghaften Handel mit Nistmaterial aufziehen und sich in Nüssen bezahlen lassen. Tun sie aber nicht. Und ein hungriges Mäuschen im Winter muss sich schon selbst an den Vorräten der Eichhörnchen bedienen. Keiner steht da und verkauft ihm die gehorteten Samen. Aber Sparsamkeit, damit es reicht und Teilen, damit alle etwas haben, ist dennoch Gang und Gäbe im Tierreich. Wer satt ist, überlässt dem anderen seinen Platz im Vertrauen darauf, dass es auch morgen wieder etwas gibt. Für einen Hund ist das nicht mehr ganz so selbstverständlich. Er ist schon zu lange bei den Menschen, spiegelt sein Wesen und ist auf die Erfahrungen mit ihm angewiesen. Unsere Anouk hatte Glück. Sie hat das Vertrauen in die Welt noch nicht verloren. Ist der Bauch voll, sieht sie gelassen zu, wie die Nachbarskatze den Rest vertilgt. Aber wenn sie satt ein halbes, noch warmes Kaninchen findet, das wohl ein anderer Räuber, dem die vordere Hälfte genügte, liegen ließ, dann menschelt es in ihr, dann vergisst sie jede Großzügigkeit, läuft von Glückshormonen beflügelt voller Besitzerstolz durch den Garten, sucht den aller-allersichersten Platz zum Verbuddeln und wehe der Katze, die sich in ihre Nähe traut. Das täglich Brot mag man noch teilen, Erfolge und ihre Trophäen behält man für sich.  

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