
In unserem ersten Jahr im Wald hatten Hornissen ihr Nest unter unserem Dach gebaut und in der Dunkelheit krabbelten oft ein Dutzend von ihnen an dem erleuchteten Küchenfenster herum, entweder irregeleitet durchs Licht oder auf der Jagd nach kleineren Insekten, die ebenfalls angelockt wurden. Ihre Größe hat uns schwer beeindruckt und die Mär, dass sieben ihrer Stiche einen Gaul umbringen können, forderte unseren Respekt und ließ uns das Gewusel an der Scheibe in der Sicherheit des Hauses umso mehr genießen. In diesem Jahr lebt wieder eine Hornissenfamilie bei uns. Nun aber unter dem Dach des Gästehauses. Wir verfolgen ihren Weg bis zu dem kleinen Schlupfloch zwischen den Balken. Wie das Nest aussieht, wissen wir aber nicht, da das flache Dach mit Dämmmaterial vollgestopft ist und verschlossen. Daher hatte ich so lange keine Vorstellung davon, in welch künstlerisch gefertigten Behausungen unsere Untermieter wohnen, bis unsere Nachbarin das auf dem Foto zu sehende Nest in ihrem alten Hühnerhaus entdeckte. Es ist mit seinen gut zwanzig Zentimetern Durchmesser noch nicht einmal besonders ausladend und trotzdem staunt man über seine Größe, besonders wenn man die viel häufiger anzutreffenden etwa kinderhandgroßen Wespennester vor Augen hat, die wie kleine Reispapierlampions aussehen. Anders als diese grauen, ebenmäßig runden, relativ unscheinbaren Höhlen bauen unsere Hornissen eine beinahe spacig anmutende Behausung, wie man sie sich in einem Science Fiction Film als Wohnstatt irgendwelcher viel weiter als wir entwickelten Außerirdischen vorstellen könnte. Wenn Architekten hierzulande Häuser mit derart ansprechenden organischen Formen, an die Maserung eines Schneckenhauses erinnernden Fassaden, einer sorgfältig durchdachten Wärmedämmung mit luftgefüllten Kammern und von Einfluglöchern inspirierten Lüftungsschlitzen entwerfen würden, wäre ihnen ein Zukunftspreis gewiss. Man würde Mut und Innovation nicht genug loben können und einmal mehr menschliche Kreativität rühmen. Die Besitzer eines solchen Bauwerks wären stolz und glücklich, würden es mit Versicherungen vor Schaden und Wertverlust bewahren und ihr Erbe regeln. Hornissen scheinen sich dagegen aus all dem nichts zu machen. Die Schönheit, die sie mit so viel Kunstfertigkeit und Mühe geschaffen haben, ist schnell vergänglich. Sie dient nur als Kinderstube für eine neue Generation, die die sterbende ablöst. Bereits nach einer Saison steht das Haus für immer leer und ist dem Verfall preisgegeben. Das nenne ich einmal gelebte buddhistische Weisheit: Keine Anhaftung kein Leid!
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