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Stein des Anstoßes

Wenn ich durch die Auen hinter unserem Haus stapfe, kontrolliere ich jedes Mal die Falle, die dort am Ufer des Sees steht. Ich weiß nicht, auf welches Tier man es abgesehen hat, vielleicht, Fuchs, Marder, Waschbär ... Bisher hat sich nie eines zu einer Zeit einfangen lassen, dass es mich bei seinem Anblick in ein moralisches Dilemma gestürzt hätte, zwischen sich widersprechenden Rechten abwägen zu müssen. Gut für das Tier, das gar nicht erst auf einen wohl gesonnenen Menschen oder sein Gegenteil warten muss, gut vielleicht auch für mich, dass ich nicht herausgefordert bin, mich zu entscheiden. In meiner Vorstellung ist es nämlich ganz leicht, die Falle zu öffnen und das Tier hinauszulassen. Keine Minute würde ich zögern, zu groß wäre mein Mitleid. Dass es verhungerte oder vom Fallensteller erschlagen oder erschossen würde, ist keine Option. Aber würde ich dabei ängstlich über die Schulter schauen, wissend, es ist nicht mein Grund und Boden, nicht meine Falle, fremdes Eigentum? Oder würde ich im Eifer einer guten Tat alles um mich herum vergessen? Vielleicht würde ich mir die Situation auch eher schönreden: Das Tier soll sicher nur gefangen werden, um an geeigneterer Stelle wieder ausgesetzt zu werden. Vielleicht soll eine andere Tierart, die seltener und "wertvoller" ist, vor einem Räuber geschützt werden? Und überhaupt, was geht mich das an ... Wie mutig wäre ich noch, wenn jemand, der sehr überzeugend aufträte, erschiene und mir etwas von Recht und Gesetz erzählte? Ob Mitläufer oder Aufständische, obrigkeitshörig oder freigeistig, entscheidet sich nicht in der Phantasie. Und auch nicht, bei wie viel Druck man einknickt. Wie viel Streit, Stress und Bedrohung man aushält und wie es einem dabei geht. Wächst man mit den Herausforderungen? Vielleicht sogar über sich hinaus? Oder wird man immer kleiner und kleinmütiger? Könnte man mit mir eine Revolution anzetteln, oder würde ich mich ganz schnell wieder in mein kleines Blockhaus im Wald zurückziehen und versuchen, die böse Welt darum herum zu vergessen? Eine Freundin fragte einmal: Reicht es denn, in seinem Garten zu pusseln und möglichst wenig falsch zu machen?

Inzwischen ist die Falle in Vergessenheit geraten, die Klappen geschlossen, der Auslösemechanismus rostig. Bald wird sie zugewuchert und als mein Stein des Anstoßes aus den Augen aus dem Sinn sein.      

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Kommentare: 1
  • #1

    Nüket (Sonntag, 07 Oktober 2018 16:28)

    erst dringen wir in deren Lebensraum ein und dann wundern wir uns, dass sie ihr Habitat nicht aufgeben wollen - aber was kann der Mensch mit seiner Hochmütigkeit am besten? Zerstören und ausrotten! Könnte man nicht zufällig einen großen Stein darauf fallen lassen oder Pfeffer um die Falle streuen, damit sich die Tiere nicht nähern?