
So kann es einem gehen, wenn man im Wald lebt. Sie kommen einen besuchen, die Insekten. Aber mit einer solchen Invasion der Käfer hatten wir nicht gerechnet. Überall saßen sie: auf der Terrasse, an den Fenstern und immer öfter im Haus. Jeden Tag beförderten wir bestimmt ein Dutzend von den beinahe zwei Zentimenter großen Wesen wieder nach draußen. Es wurde uns schon unheimlich. Und da man difusen Ängsten am besten mit Wissen begegnet, haben wir uns kundig gemacht und was gelernt: Der Käfer ist gar kein Käfer, sondern eine Wanze, und zwar eine Amerikanische Kiefernwanze, eine Migrantin wider Willen, der es hier eigentlich zu kalt und ungemütlich ist. Aber in diesem heißen Sommer hat sie sich wohl gefühlt, massenhaft vermehrt und wir konnten die, die sonst unauffällig im Wald an Kiefernblüten und Samen saugt und niemandem etwas zuleide tut, kennenlernen. Jetzt ist sie uns sympathisch, wir stehen auf Du mit Ihr, und wenn wieder eine auf dem Schreibtisch landet, ist sie eine gute Bekannte, ein Gast, der eine Weile bleiben kann. So ist das mit der Aufklärung. Sie kann Beziehungen verändern. Und wenn das neue Wissen darüber hinaus zurückweist auf einen selbst, kann Erkenntnis daraus werden. Nämlich die, dass wir Menschen ganz schön simpel funktionieren und uns von willkürlichen, weil immer nur einen Ausschnitt des Ganzen umfassenden Zuschreibungen unser Weltbild diktieren lassen. Ob wir daher unsere Wanze als Schädling, Nützling oder "nur" als Lästling bezeichnen, sagt viel über uns, aber nichts über die Wanze aus.
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Nüket (Sonntag, 04 November 2018 18:41)
Du triffst den Nagel auf den Kopf! Politiker könnten diese 'Erkenntnis-Strategie' auch auf einige weltweit aktuelle und zum Teil sehr brisante Gegebenheiten anwenden.
Da ich nun auf die Wanze aufmerksam geworden bin, habe ich gleich selber nachgelesen und noch herausgefunden, dass "... besitzt Drüsen, die mit einen Duftstoff zur Abwehr absondern können. ... Der Geruch des Sekretes dieser Art wird als eine Mischung aus Nadelbaum und Apfel beschrieben und riecht intensiv." Ihr könntet sie 'melken' und somit im Häuschen eine weihnachtliche Duftnote verbreiten. ;)
Gerlinde (Montag, 05 November 2018 14:22)
Oh nein, rate sehr vom Wanzenmelken ab - der Duft ist sehr intensiv und nicht immer angenehm empfunden!
Der vorige Gedanke kam mir auch gerade in den Sinn- was tun mit der Überzahl an Lästlingen?!? Druckausgleiche gehen immer mit stürmen einher, die Gefälle muss man nivellieren. Die liebe Anja stellt einen mal wieder vor die schwersten Fragen!