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Kollektive Grippe

Eine schöne Erkältung gelegentlich ist wie ein Geschenk, eine Einladung zum Ausstieg - wenn sie stark genug ist, vom inneren Getriebenwerden, vom Gerichtetsein auf Zukünftiges zu erlösen und die gewisse Prise Gleichmut mit den Umständen beschert, wenn sie aber auch harmlos genug ist, einen nicht im Leiden zu verkapseln. Dann ist man wie schwerelos in Zeit und Raum. Man enthält sich der Dinge, des Tuns, des Wollens, ist bei sich, bleibt, eilt nicht voraus, kein Wünschen und Müssen. Plötzlich genügt es, nur da zu sein, hingestreckt, der Schwerkraft ergeben, zu atmen, zu fühlen. Der Weg vom Sofa zum Tisch, er hat jetzt Dauer und Länge, ich lass' ihn. Die Eindrücke vereinzeln, werden intensiv, dehnen sich, hallen im Innern nach, wandeln sich im Schlummer zu Traumbildern und verschwinden, träge losgelassen, im Irgendwo. So in mir ruhend, fehlt es mir an nichts. Ich bin zufrieden und hab vergessen, was mich sonst umtreibt und was die Anderen. Wächst die Kraft, zieht's mich halb zurück, halb werd' ich gezogen. Wie schön wäre dann eine lange kollektive Grippe, ein hundertjähriger Schlaf der Katharsis für uns alle. Tage-Wochen-Monatelang nicht mehr wollen als nur das Leben, traumwandelnd, matt und selig nur das Nötigste tun, genug genug sein lassen. Welch eine Entlastung für die Welt. Sie könnte gesunden und wir nicht vor ihr.

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