
Wer im Wald lebt und diesen auch für mediale Bilderwelten nicht ständig verlässt, der betreibt eine Art Seelenhygiene, der reinigt sich von den vielen Eindrücken, denen man in unserer Zeit üblicherweise ausgesetzt ist und die begriffen und erfühlt werden müssten, denen man aber, da sie im Sekundentakt sich überlagernd und verdrängend auf einen einstürzen, kaum noch etwas anderes entgegensetzen kann als Ignoranz. Sie aufzubringen kostet ein auf Resonanz ausgerichtetes Wesen, wie es der Mensch ist, ungeheure Kraft, Lebens-Kraft. Vergebens aufgewendet ist sie außerdem, denn innerlich dicht zu machen entspricht nicht unserer sozialen Natur. Unsere Seelen sind kein Fensterglas, an dem die Worte und Bilder wie Tropfen abperlen, sie gleichen eher Schwämmen, porös und aufnahmefähig, bereit alles Ankommende aufzusaugen. Übervoll mit Eindrücken tröpfeln die überschüssigen Wörter und Bilder ins Unbewusste. Dort sammeln sie sich wie in einer dunklen Pfütze, die ihre Geschichten spiegelt und uns in ihrem Geiste formt. Draußen in der Natur wird man auf Bild- und Wortentzug gesetzt, nach und nach verschwindet die Unruhe, die dunkle Pfütze trocknet aus und irgendwann spürt man neuen Eindrücken anders nach, aufmerksamer, langsamer, sorgfältiger - man wird sensibel für Seelenverschmutzungen, spürt sie in den Worten auf, damit sie nicht unbemerkt eindringen. Warum ich das alles erzähle? Bei meinem letzten Spaziergang zu den Teichen hinter unserem Haus, traf ich wie immer auf das Ehepaar Schwan, das dort sein Revier hat. Dabei erinnerte ich mich an eine Dokumentation, in die Werner vor kurzem geriet, und zu der ich mich für einige wunderschöne Bilder hinzugesellte. Sie handelte von einem Eingeborenenstamm irgendwo auf dieser Welt. Inmitten urwäldlicher Natur sah man an einem in der Sonne glitzernden Fluss bunt gekleidete Menschen, die ihre Wäsche wuschen, während die Kinder lachend im Wasser tobten. Es mag vielleicht wie ein Klischee klingen, aber ihre offenen Gesichter, die strahlenden Augen, die Ausgelassenheit der braungebrannten gesunden Kinder beim Schwimmen, Tauchen und Herumalbern zeigte ein verlorenes Paradies. Und dann verhängte der Sprecher über sie sein abschätziges Urteil: "Sie leben unterhalb der Armutsgrenze, haben weniger als ... Dollar zur Verfügung." Mit einem Mal sollte alle Schönheit und Lebensfreude, die uns gezeigt wurde, wertlos sein. Ihr Reichtum wurde zur Armut verdreht. Doch in der versiegten Pfütze meines Unterbewussten fanden diese Worte keinen Widerhall mehr, sie stiegen mir bitter auf, ich kaute sie durch und spuckte sie - zumindest im übertragenen Sinn - wieder aus: In so einer "Armut" möchte ich wohl leben, sie tauschen gegen das Bruttosozialprodukt, mit dem unser "Reichtum" gemessen wird, egal ob er sich aus möglichst vielen Kranken, die man behandeln kann, aus hergestellten Waffen, Tonnen genmanipulierten Getreides von ausgelaugten Böden oder gequälter Kreatur aus Massentierhaltung generiert.
Und dann sehe ich diese Schwäne und denke, auch sie sind Eingeborene. Und das Wort ist so wunderschön, man muss es schmecken, sich auf der Zunge zergehen lassen: Hin-eingeborene in ein Stück blühende lebendige Natur, geborgen, zugehörig, hineinpassend, nicht fremd ... der Assoziationen stellen sich viele ein. Und auch meine Schwäne leben unterhalb der Armutsgrenze ohne Geld außerhalb unserer Norm, die alles abwertet, was sich nicht rechnet, sich nicht berechnen und in Zahlen umwandeln lässt. Unser "Reichtum" wirkt armselig und elend neben ihrer Armut.
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G. (Freitag, 22 März 2019 04:55)
Der Kommentar des Sprechers wollte genau das ausdrücken: sie leben in Armut , und es fehlt ihnen nichts!