
In diesem Jahr sollen endlich Wildpflanzen auf dem Speisezettel stehen. Daher streifte ich gestern in aller Frühe mit Anouk über die vom Tau nassen Wiesen hinter dem Haus, lief entlang der Bachläufe, machte einen Abstecher zu den Teichen und ging an den Waldsäumen vorbei auf der Suche nach schmackhaftem und gesundem Grün, fand aber erst einmal nichts außer Gras. Es brauchte seine Zeit und einen geschulten Blick, zwischen den frischen grünen Halmen, den vertrockneten Büscheln, den Kiefernnadeln und dem mürben Laub weitere Pflänzchen zu entdecken. Irgendwann aber wurde ich fündig, zuerst mit zarten Blättchen Löwenzahn, dann in immer rascherer Folge mit üppigen Flecken Vogelmiere, winzigem lanzenförmigen Spitzwegerich und den ersten Sprösslingen Brennessel. Von all dem pflückte ich etwas und dann auch noch Pflänzchen, die ich nie bewusst wahrgenommen hatte und die ich erst nach ausführlicher Internet-Recherche benennen konnte: große Blätter Sauerampfer, herzförmige Blättchen Scharbockskraut samt gelber Blütenknospen und feine Triebe Schafgarbe. Anderes Sammelgut gelang mir trotz aller Bemühungen und Bildersichtungen nicht oder nicht sicher zuzuordnen: Ein wie Möhrengrün aussehendes Kraut (es hätte wilde Möhre genau so sein können wie Wiesenkerbel oder giftiger Schierling) und auch für eine Ranke, die der Vogelmiere ähnlich bodendeckende Ausläufer bildet, aber violette Blüten und dreiteilig gewellte Blättchen hat, fand ich keinen Namen. Sie ähnelte ein wenig dem Gundermann, aber die Blattform überzeugte mich nicht ausreichend, um sie für eine Aufnahme in der grünen Soße zum Abendessen zu rehabilitieren.
Es gibt so viele essbare Pflanzen am Wegesrand und sie alle haben ihre besondere Botschaft, ihre Heilwirkung, so dass man Hippokrates versteht, wenn er meint: "Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin Deine Nahrung". Es könnte entmutigend wirken, diese unglaubliche Vielfalt kennen und unterscheiden zu lernen, aber welch großartige Herausforderung, sich dieses Wissen autodidaktisch aneignen zu können und sich damit einen weiteren kleinen Schritt Unabhängigkeit zu erarbeiten. Und dass die Mühe lohnt, das Lernen schneller geht als gedacht, davon wurde ich bereits wenige Stunden später überzeugt, als wir mit Anouk zu einer Wanderung in den Wierener Bergen unterwegs waren und mein suchender Blick im Nachklang der morgendlichen Übung über den Boden gleitend prompt an einem großen Flecken Grün hängen blieb, den ich sonst nie beachtet hätte. Die Blätter erinnerten an Postelein und tatsächlich ergab die spätere Überprüfung anhand von Bildern, dass es sich um seine wilde Form, auch Tellerkraut oder Winterportulak genannt, handelt - ein unerwartet großzügiges Geschenk und ein Zeichen des Himmels weiterzumachen. Daher möchte ich nun optimistisch übertreibend die Zukunft vorwegnehmen und verkünden: Gemüse aus dem Geschäft war gestern: Ernten, Suchen und Stoppeln ist das neue Kaufen.

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