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Wiesenschaum, für die Gretas dieser Welt

Jeden Tag eine neue Vokabel, nur macht Vokabeln "pauken" nun Spaß: Wiesenschaumkraut - hier überzieht es gemeinsam mit Löwenzahn die Weide - Knoblauchsrauke, Hirtentäschel, Goldnessel, Blutampfer. Ich lerne langsam aber gründlich. Manchmal finde ich zuerst eine Pflanze, die mir bekannt vorkommt und die ich kennenlernen möchte. Dann suche ich sie in zahllosen Abbildungen bis ich sie entdecke und hauche ihr mit der Namensgebung Bedeutung ein. Manchmal ist es auch umgekehrt, da schaue ich mir zuerst die Fotos von Wildkräutern an, lasse mir ihre Namen auf der Zunge zergehen: Gänsefuß, Hellerkraut, Wegwarte, lese Beschreibungen, Poetisches und Überliefertes, staune über Heil- und nachgesagte Zauberwirkung und suche später ihre Ebenbilder in der Natur. Als würde ich Memorie spielen. Wo ist das Gegenstück zum Bild in meinem Kopf. Bin ich nicht sicher ob die "aufgedeckte Karte" passt, überprüfe ich "sie", zerreibe Blätter, um ihren Duft freizusetzen oder nehme eine Kostprobe, gespannt, ob der angekündigte Geschmack sich bewahrheitet. Ich lerne in meinem Tempo, selbstbestimmt aus innerem Antrieb und mit allen Sinnen. Das ist der Stoff, heißt es, der das Gehirn auch später noch "wachsen" lässt und Querdenken möglich macht. Könnte Schule so funktionieren, würde sie die Kinder bei ihren Interessen packen und abholen, ihre Leidenschaften fördern und ihnen dienen, statt sie von oben herab zu Objekten unserer Belehrungen zu machen, sähen wir morgens nicht in so viele müde resignierte junge Gesichter, die alle zu sagen scheinen: "Ich sehe mein Leben vor mir, als hätte ich es bereits hinter mir." Aber man darf sich nichts vormachen. Wir haben diese Schulen nicht versehentlich, wir brauchen sie, um den Status quo aufrecht zu erhalten. Man stelle sich vor, lauter begeisterte junge Individuen liefen frei herum und eigneten sich diese ihre Welt selbstständig, unkontrolliert und selbstbewusst an, so als würde sie ihnen tatsächlich gehören und nicht bereits anderen, die vor ihnen kamen und die Regeln bestimmten. Ja, man stelle sich vor, sie glaubten wirklich, sie wären Herr ihres Lebens und nicht ge-bildet für ein System, das zwar immer anfälliger, ungesünder, hässlicher und lebensfeindlicher wird, sich aber immerhin Wirtschaftsstandort oder Exportweltmeister nennen darf. Vielleicht würden sie dann einfach nicht mehr mitmachen, weil es so viel Schöneres und Wichtigeres zu tun gibt. Vielleicht würde es eine Weile chaotisch zugehen, vielleicht müssten wir (Konsum-)Abstriche machen, aber ehrlich: Was haben wir denn noch zu verlieren?

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