Als ich vor 29 Jahren mein Kind bekam, war ich vollkommen überwältigt davon, in der Lage zu sein, innerhalb einiger Monate in meinem Körper einen vollständigen, vollkommenen kleinen Menschen heranwachsen zu lassen. Ich konnte nicht genug staunen, wie perfekt alles war. Er hatte genau so viele Finger, wie man so hat und nicht einfach mal, obwohl ein Ausrutscher bei so komplexer Struktur doch leicht verzeihlich wäre, einen mehr oder weniger. Die Ohrläppchen waren wohlgeformt, an den Füßen alle Zehen mit winzigen Nägeln versehen und richtig angeordnet: ein absolutes Wunder. Dass mir kaum darauf noch im Krankenhaus plötzlich zum Muttertag gratuliert wurde, überraschte mich dann aber doch. Ins Muttersein musste ich erst hineinwachsen, tat es schnell und wie wohl alle Mütter dieser Welt mit großer zärtlicher Hingabe. Muttergefühle sind geradezu unheimlich stark. So habe ich es empfunden und so muss es wohl auch sein, denn dass es uns ohne sie nicht gäbe ist Allerweltswissen. Ob ein kleiner Mensch gedeiht oder stirbt, hängt allein an wenigstens einer einzigen fürsorglichen, liebevollen Person. Und das nicht nur wegen der körperlichen Versorgung, sondern weil der Überlebenswille untrenntbar mit dem Bindungswillen verkettet ist. Wird das Bedürfnis nach persönlichem Angenommensein nicht erfüllt, ist das ganze Leben nichts wert, der Mensch verkümmert und stirbt. Wer diese starke Bindung, diese beinahe schmerzhafte, übergroße Zuneigung zu einem hilflosen Wesen einmal erlebt hat, schaut wahrscheinlich alle Mütter dieser Welt mit anderen Augen an. Auch die Mutterkühe in unserer Nachbarschaft mit ihren auf der Weide gerade frisch geborenen Kälbern. Was sie empfinden, weiß ich und sehe es in jeder ihrer zärtlichen Gesten bestätigt. Wenn wir diese artübergreifenden tiefen Gefühle, das Staunen und die Freude am neuen Leben dennoch tagtäglich dadurch verraten, dass wir in der Milchviehhaltung den Mutterkühen ihre Kälber wegnehmen, dann geschieht nicht nur ein großes Unrecht, wir entwürdigen uns selbst. Ich bin sicher, dass, sollte es uns gelingen, eine feinfühligere Spezies als uns zu erschaffen, sie auf unsere Zeit als eine sehr rückständige und grausame zurückblicken wird.
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Nüket (Montag, 13 Mai 2019 15:05)
Oh, wie wahr!
Danke für idyllischen Fotos, die den Wunschtraum aufrecht erhalten können, aber ich fürchte, dass es fast zu spät wäre, wenn wir nichts unternehmen. Deshalb unterstütze ich die Petition von Dirk Steffens, die die Erhaltung der Artenvielfalt in das Grundgesetzt aufnehmen will. Da es für eine gute Sache ist, erlaube ich mir diesen Link hier mit Gleichgesinnten zu teilen und diese auch weiter zu leiten.
https://www.openpetition.de/petition/online/artenschutz-ins-grundgesetz-biodiversitaet-und-oekosystemleistungen-erhalten