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Die Reinekes

Am Ende unserer Siedlung liegt entlang einer langgezogenen Treppe, die zu den Auen hinabführt, ein unbewohntes, steil abfallendes Grundstück mit dichtem Baumbestand. Dort befindet sich ein alter weitverzweigter Bau mit zahlreichen Ein- und Ausgängen. Manchmal wird er von Kaninchen bewohnt, manchmal von Dachs oder Fuchs. In diesem Frühjahr hat ein Fuchspaar Einzug gehalten und inzwischen vier Junge bekommen, die gelegentlich vorsichtig den Kopf aus dem Bau stecken, um sich ein Bild von der Welt zu machen. Ihre Mutter wird ihnen schon beigebracht haben, dass es draußen gefährlich ist. Daher folgen sie, den Rücken der schützenden Höhle zugewandt, jeder Regung mit großen aufmerksamen Augen. Eine falsche Bewegung und sie sind so schnell verschwunden, dass die Begegnung mit ihnen immer flüchtig bleibt. Nie reicht die Zeit, sich an den Kleinen satt zu sehen. Schade, denn ihr Anblick ist, wie der aller jungen Tiere, herzerwärmend. In Jägerkreisen hätte man allerdings für derlei Sentimentalitäten wenig Verständnis. Dort gilt der Fuchs als Jagdkonkurrent und die Jungen stehen das ganze Jahr auf der Abschussliste. Eine ruhige Kindheit sieht anders aus. Mehr als eine halbe Millionen junger und alter Füchse werden allein hierzulande jedes Jahr zur Strecke gebracht. So schön das Landleben ist, mit seinen heimlichen Herrschern, den Jägern, kann ich mich nicht abfinden. Man sollte meinen, dass man jemanden sehr gut dafür bezahlen müsste, um ihn zu bewegen, ohne Not ein Tier, noch dazu ein junges, zu erschießen, aber nein, die Jagd ist ein beliebter und angesehener Sport, ein netter Zeitvertreib, ein geselliger Spaß. Wenn das schon normal ist, umso normaler, hehre Motive für das Vergnügen heranzuführen. Dann heißt es: Hegepflicht oder Artenschutz. Was man dem freien Markt, obwohl als gedankliches Konstrukt von uns nur so erfunden, zutraut, nämlich ein Eigenleben zu entwickeln und unreguliert mit sogenannter 'unsichtbarer Hand' zum Wohle aller zu regieren, das spricht man der Natur, die doch weit über uns steht, schon viel länger existiert und uns erst möglich macht, ab. Sie braucht dringend, so meint das Jagdvolk, unsere ordnende Hand, unser Besser-Wissen. Eine Mär, der man beim Fuchs eigentlich gar nicht mehr aufsitzen kann, denn der ihm vom Menschen vermachte Name Reineke, Reinhart entlarvt unsere vorgebliche Unwissenheit längst: Schicksalsstark. Und das ist er, ob hartnäckig bejagd oder in Ruhe gelassen, seinen Bestand hält er über die Zeiten konstant. Mit zahlreicheren und größeren Würfen gleicht er alle Verluste immer wieder aus und so geht die Jagd zum Vergnügen des Menschen, zum Leidwesen der Füchse Jahr für Jahr in die nächste Runde.   

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