Mit Gender hat unser Amselpärchen nichts am Hut. Was jeder zu tun hat, das wissen sie auch so und ob das gerecht ist oder nicht, ob einer gar etwas mehr oder weniger arbeitet, wem die langweiligeren Tätigkeiten zugewiesen sind, wer entkräftet früher stirbt, wer noch ein paar schöne Jahre hat, das ist kein Stoff für Diskussionen. Und ob diese Rollenzuweisungen von der Vogelschaft gar sozial konstruiert sind, statt naturgegeben, damit befassen sich nur ein paar seltene Vögel. Schließlich hat ein Amselleben einen höheren Sinn, für kleinliche Aufrechnungen oder egozentrierte Innenschau ist da kein Raum. Es gibt immerhin Kinder ins Leben zu holen, eine nächste Generation dem großen Werk hinzuzufügen. Und das ist bei Amseln mit nur einer Brut im Jahr nicht getan. Mindestens zwei und wenn alles passt, sogar drei zieht das Pärchen groß. Das erste Nest der Saison baute Frau Mama, derweil ihr Gatte sang, ganz ohne seine Hilfe in unserem Holzschuppen. Die Eier legt sie ebenfalls allein, sitzt dann, gefesselt an Heim und Haus und vom Herrn Papa in spe gänzlich unversorgt, zwei Wochen auf den Eiern. Da geht ein Aufschrei der Empörung durch die Amsel-Damen-Schar. Von Unterdrückung ist die Rede und von Doppelbelastung, der ein Ende bereitet, von Paschas, die abgesetzt werden müssen. Nur die ältere Generation hört man tröstend einwenden: "Immerhin, der Papa versorgt sich doch schon selbst." Und die weisen Altvögel wissen sogar: "Singen ist kein leichtes Geschäft. Nichts ist anstrengender, als immer gut aussehen und lauter pfeifen als die Konkurrenz." Und dann noch die zahlreichen Gefahren, auf sie so ein Amselmann eine Auge haben muss, Feinde, die ausgetrickst oder vertrieben werden müssen und das alles während Madame daheim das Nest verschönt, auf dem Gelege ruht und sich entspannt die Federn durch den Schnabel zieht. Wer es da leichter und wer es schwerer hat, wem das Schicksal mehr abverlangt, wem weniger, wird da vor allem zu einer Einstellungs- und Auslegungssache. Bei den Amseln scheint sich jedenfalls keiner benachteiligt zu fühlen, denn sind die Kinderchen erst aus dem Nest, wird die Schar höchst gendergerecht zwischen Elternteil 1 und 2 aufgeteilt. Für kurze Zeit sind sie alleinerziehend, nur um sich alsbald wieder in schönstem Einvernehmen und nach alter Tradition mit verteilten Rollen ihrer Mission zu widmen: Die Mama werkelt am Nest, der Gatte pfeift ihr ein Liedchen dazu.
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Nüket (Montag, 17 Juni 2019 15:20)
Mit Musik geht doch alles viel besser von der Hand, wenigstens singt er für sie und vertreibt ihr die eintönige Brutzeit. Ach, und Danke!!! Habe wieder etwas dazu gelernt, wusste nämlich bisher nichts über die Brutzeit und -pflege der Amseln.