
Die meisten Pflanzen im Garten sind wie versehentlich dorthin geraten. Mal haben wir einen Schwung heruntergesetzter Büsche in der Pflanzenabteilung eines Baumarktes erstanden, mal einen Ableger bekommen, dann wieder bei einem Angebot zugegriffen oder vom Markt etwas mitgebracht. Das ist die graue Masse, respektive die grüne Menge, die die eingefriedeten Bereiche erst zu Beeten macht. Sie leben mehr oder weniger unbeachtet vor sich hin. Andere dagegen haben ihre ganz besondere Geschichte und ragen daher für uns als unverwechselbare Persönlichkeiten aus der Pflanzenansammlung hervor. Unbedingt dazu gehört unser Kirschbaum. Er ist ein Berliner, den wir auf dem Balkon unseres Nachbarn, der ihn liebevoll vom unscheinbaren Steckling zum verzweigten Bäumchen begleitete, kennenlernten. Als wir ihn mit vielen Glück-Wünschen zum Abschied geschenkt bekamen, versprachen wir, gut für ihn zu sorgen und so wurde er der erste Baum, die erste Pflanze überhaupt, die wir in unseren neuen Garten setzten und er sollte so etwas sein wie ein Ausgleich, eine Geste der Entschuldigung für all die gefällten Fichten und Kiefern, die wir auf dem Gewissen hatten, und ... Symbol für einen Neuanfang. Damals setzten wir dem kleinen Kerl einen Stecken als Stütze an die Seite und wären mir noch religiöse Gesten geläufig, hätte ich vielleicht zu seinem Schutz und zum Zeichen des guten Gelingens unseres Projekts mit der Hand ein Kreuz über ihm geschlagen. Der Gedanke hat vielleicht ausgereicht, denn inzwischen überragt er mich um Längen und braucht schon lange keinen Halt mehr. Der Kindheit entwachsen begegnen wir uns nun auf Augenhöhe von Baum zu Mensch und nehmen gegenseitige Zuwendungen gerne entgegen. In diesem Jahr war es der Baum, der uns beschenkte: mit Beeren für zwei üppig belegte Obstböden, genug für die Amseln und mit einem Gedicht, das ich verloren hatte und das er mir zurückbrachte, als ich mit den Händen voller Kirschen zwischen seinen Zweigen stand. Zuerst war es nur die Musik der Zeilen, die in meinem Kopf summte und eine Ahnung hervorrief, irgendwann stieg ein einziges Wort aus der Erinnerung auf - Kirschenzeit - und das half mir, es wiederzufinden:
Geerntet der Kirschbaum, der Juni zu Ende,
aber im Traum trug ich Kirschen zurück in die Bäume,
hängte sie zwischen die Blätter und rief:
Die Kirschenzeit ist gekommen, bring Körbe und Leitern
und flieg in den Kirschbaum zu mir, wir träumen nicht lange!
(Christoph Meckel)
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Nüket (Mittwoch, 24 Juli 2019 21:18)
Ein prächtiges Kerlchen, der obendrein schon Früchte trägt.