
Zwei Beete im Garten habe ich dem Unkraut freigehalten. Gewöhnlich schaue ich gar nicht genauer hin, was sich dort breitmacht, aber diese Pflanze ließ sich nicht übersehen. Einen halben Meter hoch, buschig ausladend mit gezahnten Blättern und großen weißen trichterförmigen Blüten stand sie - wie mir schien urplötzlich - im Meer hoch aufgeschossenen Gänsefußes. Eine seltsame Präsens umgab sie und als die Blüten nach kurzer Zeit stacheligen Früchten wichen, stellte sich auch ihr Name aus sehr ferner Erinnerung ein: Datura oder Stechapfel. Ein harmloses Wort, das anders als die Bezeichnung für die ihr nahe stehende Engelstrompete wenig über ihre diabolische Natur verrät. Denn in allen Teilen hoch giftig, ist Datura fähig, jeden, der von ihr kostet, unter Erzeugung starker Halluzinationen direkt ins Himmelreich zu befördern. Erfahrenen Jenseitsreisenden diente der Stechapfel aber in wohldosierter Menge als Hin- und Rückfahrkarte zur Erlangung des dem normalverorteten Durchschnittsbürger verborgenen Wissens über das wahre Wesen unserer Welt. Weise Frauen mischten Auszüge in ihre Hexensalben, die auf der Haut verrieben das Fliegen lehrt und Carlos Castaneda verschob mit seiner Hilfe den "Montagepunkt", der uns in unserer "Konvention der Wahrnehmung" gefangen hält. Auch als Narkotikum oder Heilmittel fand der Stechapfel Verwendung. So waren seine nach gekochten Kichererbsen riechenden Blätter noch in meiner Kindheit rezeptfrei in der Apotheke erhältlich, um sie zur Behandlung von Asthma zu rauchen und in homöopathischer Aufbereitung wird er auch heute noch verordnet. Ob so vielfältiger Anwendungsmöglichkeiten und als Erinnerung, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, werde ich die jetzt noch unter der stacheligen Hülle heranreifenden schwarzen Samen als Saat für ein eigenes Daturabeet im nächsten Jahr aufbewahren.
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