65.000 Gedanken und kein Mü schlauer

Der Abreißblock neben dem Kaminofen tut gute Dienste und sorgt neben gesammelter Birkenrinde für schnelles Anfeuern. Damit der Vorrat nie zu Ende geht, bestücke ich ihn stets neu mit dem Altpapier, das in Form kostenloser Regionalblättchen oder als Verpackungsmaterial ins Haus kommt. Ist das Papier aber so schön weiß wie oben, dann wird es kleiner gerissen und mit einer Nadel auf ein Stück Paketschnur gefädelt für die täglichen Erinnermichs: Stichwörter zu Projekten, die wir verfolgen wollen, Einfälle, die nicht verloren gehen dürfen, aber auch Dinge, die eingekauft werden müssen, Termine, Wünsche, Wissenswertes. Manch Wichtiges, manchmal Dringliches, aber noch sehr viel mehr Unwichtiges wird aus dem Kopf auf einen Fetzen Papier mit schiefen Rändern und Knicken gebannt, jedes ein Unikat und einmalig wie die immer neuen Listen darauf. Abbilder gelebter Tage. Man könnte sie mit Datum versehen, sammeln und irgendwann nach langer Zeit die großen Dinge aufspüren unter den tausend profanen, die sich immer und immer wiederholen. "Lafargue" zwischen "Öl" und "Backpulver", die gute Idee entdecken im Wort "Kompostsack", das so klein neben "Oleander" steht, Trauriges erinnern bei "Brief an H." und Weggabelungen ausmachen, wo "Kündigung" am Rand gekritzelt steht. Es heißt, dass wir 80 % der rund 65.000 Gedanken, die uns täglich durch den Kopf gehen, bereits gestern und vorgestern gedacht haben. Nur 20 % Prozent sind neu und davon ist vermutlich nur ein Teil kleiner als Mü wirklich besonders, revolutionär, unorthodox, quer, aus der Bahn werfend, genial, erhellend, umwerfend. Ich fürchte, meine Zettel geben ein gutes Beispiel für diese These ab und so durchschaut, sollte ich wohl ganz oben auf jeden weiteren Zettel meines Lebens als "must" zur "To-do"-Liste hinzufügen: "Einen aufmüpfigen, frechen, mutigen, alles auf den Kopf stellenden Gedanken denken" oder wahlweise "etwas Unerwartetes, etwas Verrücktes, etwas ganz Neues tun".      

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