Emoticon

Ein Schläfchen unter freiem Himmel ist etwas besonderes, denn im Zustand der Halbwachheit erzählen Sträucher, Bäume und Wolken Geschichten als wehrten sie sich gegen unsere vordergründige, zweckmäßige Betrachtung. An kalten Tagen tut es aber auch ein Lager im Haus mit Blick auf die Kiefern oder unseren Haselnussbusch, der mir, wenn ich mich zögerlich aus den Armen des Schlummers löse, mit den an den Spitzen seiner Zweige wie Stabpuppen thronenden Gestalten aus Blättern ein Schattentheater bietet. Seine Figuren, aus der dreidimensionalen Blättervielfalt zu zweidimensionalen weichgezeichneten Tuschezeichnungen geronnen, erkennt mein traumschwerer Blick mühelos: die feine Dame im wallenden Kleid mit aufgespanntem Sonnenschirm, der tanzende Bär, eine Meerjungfrau mit wehendem Haar, der Zwerg mit tief ins Gesicht gezogener Mütze, ein auf zwei Beinen gehender pfeiferauchender Fuchs, das Eichhörnchen oder der krumme, sich auf einen Stab stützende Mann. Manche Gestalten sehe ich viele Tage oder Wochen bis ein kräftiger Wind ein einzelnes Blatt aus der Choreographie reißt oder sich ein anderes meinem speziellen Blickwinkel entwindet und die Erscheinung auflöst. Andere dagegen suche ich bereits am nächsten Tag vergebens. Sie waren kurzlebige Launen der Umstände und meiner Wahrnehmung. Dem unbestechlichen Blick der Kamera bleiben sie alle verborgen. Sie sieht nur Blätter wo sich meine Helden und Archetypen tummeln. Darum speise ich sie mit einem der vielen Natur-Emoticons ab, die sich grinsend, nachdenklich, staunend, ärgerlich, schalkhaft und lachend auf Ästen zeigen, in Holzvertäfelungen auftauchen, die Birkenrinde zieren oder als Kieselgesicht erscheinen.       

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Kommentare: 2
  • #1

    Gerlinde (Montag, 18 November 2019 11:55)

    „Schläft ein Gesicht in allen Dingen...“
    Du triffst das Zauberwort!

  • #2

    Ursula (Montag, 18 November 2019 16:26)

    Mein früheres Kinderschlafzimmer hatte eine Tapete, auf der sich auch wunderbare Phantasiegestalten tummelten.....