
Vor einiger Zeit hat sich ein Käuzchen bei uns niedergelassen. Gesehen haben wir ihn nicht, aber in der Dunkelheit hören wir seinen langgezogen traurig singenden Ruf: Huuu-huhuu-huhuhu. Er gibt der Kulisse des Waldes nachts seine Tiefe zurück, macht ihn zu einem unheimlich schönen Ort, der uns gleichzeitig lockt und warnt. Und während wir sicher geborgen in ihm beim Feuer sitzen, erwacht er um uns zum Leben. Die Spuren sehen wir erst am nächsten Tag: Federn oder Fellreste von erlegten Tieren, manchmal Knochen und Innereien, die verschmäht wurden, Trittsiegel und aufgerissene Erde, in der Wildschweine nach Nahrung wühlten und die unzähligen, immer und immer wieder begangenen Wege, die den Wald mit einem halb sichtbaren, halb nur anderen Sinnen zugänglichen Netz durchziehen. Unsere Anouk "sieht" sie wohl alle. Leidenschaftlich folgt sie ihnen, liest die Geschichten der Nacht und durchlebt sie noch einmal. Dann sträubt sie ihr Nackenfell bedrohlich oder schaut sich panisch um, manchmal bellt sie aufgeregt in den Wald, dann folgt sie einer Fährte lange interessiert, bricht ab, beginnt von vorn, manchmal stößt sie direkt zum Tagesversteck eines Hasen vor, der sich dann aufgeschreckt in aberwitziger Geschwindigkeit einen neuen Ruheplatz sucht. Sie steckt ihre Nase in Dachs-Fuchs- und Kaninchenbaue, beschnuppert ausdauernd die entlang der Routen mit Gerüchen vorbeistreifender Tiere behafteten Zweige, saugt mit zurückgezogenen Lippen Duftmoleküle ins Maul, schmeckt sie, riecht an Hinterlassenschaften und setzt mit ihren eigenen Zeichen, fügt ihre Botschaft der Geschichte hinzu. Das da draußen ist ihre Welt. Sie hat sie im Blut, schon immer und es zieht sie magisch hinein. Dagegen bin ich nur ein unwissender, blinder Gast, dessen zivilisierten Sinnen der Wald seine Geheimnisse vorenthält. Ich ahne sie nur, lasse mich von ihnen umschmeicheln und deute manchmal eine seiner Gesten in kurz aufblitzender alter Vertrautheit.
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