Aus dem Vollen schöpfen

Eine große alte Suppenkelle wird gerade gebogen und  zwischen zwei Nägeln an die Bohlen gehängt zur festlichen Beleuchtung
Eine große alte Suppenkelle wird gerade gebogen und zwischen zwei Nägeln an die Bohlen gehängt zur festlichen Beleuchtung

Der Winter hat sich bisher von seiner gnädigen Seite gezeigt. Die Handschuhe bleiben meist im Schrank, das Haus stets kuschelig warm und mit seinem Kaminfeuer und Kerzenlichtern gemütlich erleuchtet. Statt vor eisigem Wind ins Haus zu flüchten und mit Füßen wie Eisklumpen und klammen Händen zitternd ein Feuer in Gang zu bringen, kalt angehaucht von einer Todesahnung, die als sicheres Wissen im Körper gespeichert ist, dass man erfrieren kann da draußen, sind wir bis jetzt zwanglos und entspannt durch die ersten Winterwochen gegangen. Die Ruhe im Garten nach dem anstrengenden Aufräumen im Herbst überträgt sich auf uns. Die hellen Stunden des Tages halten nur wenig Arbeit bereit und die langen Abende sind eine Einladung zum Müßiggehen. Der Kauz ruft, die Mäuse rascheln unter den Terrassendielen, Anouk liegt am Feuer und spitzt die Ohren hinaus. Sonst nichts. Zum Glück braucht es nicht viel, aber die Abwesenheit von (zu) vielem. Von Lärm und Getriebe, von Sorgen und Über-arbeiten, Fremdsteuerung und Gefallsucht, Ablenkung und Zerstreuung und von dem vielen Besitz in Räumen und Schränken, der etwas von uns will. Weniger ist mehr. Oder poetischer: Nur in einer leeren Schale kann sich das Licht spiegeln, nur mit einer leeren Kelle lässt sich aus dem Vollen schöpfen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Ursula Kukureit (Dienstag, 14 Januar 2020 10:26)

    Liebe Anja, wunderschön, deine umfunktionierte Suppenkelle.
    Ich genieße deine zu Papier (?) gebrachten Überlegungen und kann ihnen gut folgen.

  • #2

    Gerlinde (Freitag, 17 Januar 2020 10:05)

    Sensationell!