Klein, Sein und darum einmal ohne Foto

Gegen groß wohnen wäre ja gar nichts einzuwenden, wären da nicht die Kosten, für die man einen meist erheblichen Teil seines Einkommens aufwenden muss und die einen folglich zu Abhängigen einer einträglichen Lohnarbeit machen, wären da nicht der unnötige Material- und Energieeinsatz erst beim Bau selber, später in Form von Heizen, Einrichten, Sauberhalten und schlussendlich die hohe Anzahl versiegelter Quadratmeter, die wir der Natur rauben. Alles gute Gründe, sich beim Wohnen zu bescheiden. Spürt man dann den eigenen und anderer Menschen Sehnsüchten nach, stellt sich zudem häufig heraus, dass in einer Hütte zu leben, einen Kotten umzubauen, sich im Hausboot einzurichten oder eine der zahlreichen anderen Spielarten eines minimalistischen Lebensstils ein oft geäußerter Traum ist. Mein Vater sprach davon, ein alter Freund in Hamburg, wohl jeder Schrebergartenbesitzer, Wohnmobilist, Campingplatzliebhaber, viele der Leser/innen von Buch und Blog und zuletzt Ursula in ihrem Gästebucheintrag. Warum also wird immer noch wider besseren Wissens und entgegen tiefer Bedürfnisse größer gebaut und gewohnt als notwendig? Vielleicht liegt es daran, dass wir keine Kunst, keine Kultur des kleinen Wohnens entwickelt haben, die vorbildhaft wäre. Unser Umfeld und seine bewussten oder unbewussten Beeinflussungen prägen unsere Vorstellungen und Wünsche und hierzulande werden sie der Wirtschaft unterworfen. Was ihr dient soll auch uns zugute kommen. Daher muss sich für groß und viel niemand rechtfertigen, für klein und wenig dagegen bedarf es schon einer Philosophie, zu der man nicht nur gelangen sondern die man auch dann vertreten können muss, wenn das Nachbarkind dem eigenen sagt: "Du hast aber ein sehr kleines Zimmer" und zur Küche "ist das etwa Eure Wohnstube?". Dass das so schwierig ist, hat vielleicht damit zu tun,  dass wir selbst im Bereich der Bildung und des Lernens, wie Erich Fromm es durchschaut, in der Lebensweise des Habens verharren. Wir sammeln und horten Wissen, Abschlüsse, Zeugnisse, Zertifikate wie Sachen, nehmen Geistiges in Besitz und über je mehr wir verfügen, desto mehr gelten wir in dieser Welt. Nach Fromm, Marx, Jesus, Buddha etc. ist Wissen aber im Grunde der gegenteilige Prozess. Wahre Bildung besteht in der Durchdringung der Oberfläche, der Entkleidung des Wesentlichen, der "Ent-Täuschung" der von uns wahrgenommenen Realität. Und das nicht nur, wie ich früher immer dachte, in dem Sinn, dass man versucht durch Erleuchtung die Nicht-Existens der Dinge als Dinge zu erkennen und zu ihrem energetischen Charakter vorzudringen, sondern ebenso und vielleicht als erste Übung zu durchschauen, dass - wie Fromm es ausdrückt - "das meiste dessen, was wir für wahr und selbstverständlich halten, Illusionen sind, die durch den suggestiven Einfluss des gesellschaftlichen Umfelds hervorgerufen werden." Lernen besteht daher im Bemühen, die, um es moderner zu sagen, Matrix zu durchschauen, die uns hindert, unsere wirklichen Bedürfnisse zu erkennen und nach ihnen zu leben. Diese Art Bildung aber ist gefährlich und könnte zur Einsicht führen, "dass die Freiheit des Menschen nicht darin liegt, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will." Das sagt Rousseau und das finde ich sehr erhellend, denn so gesehen sind wir alle sehr unfrei. Wir (lohn-)arbeiten, auch wenn wir es nicht wollen, wir schicken Kinder in Schulen, die schon uns nicht glücklich machten, wir zahlen Steuern und Abgaben für Dinge, von denen wir nicht wünschen, dass sie geschehen und wir denken, das muss so sein. Und wir wohnen groß statt in einer Hütte, wir laufen auf Asphalt statt auf Wiesen ...

 

 

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