Zuckerschoten, Pflückkohl, der Wahnsinn und der enge Gürtel

Dass wir krisenhaften Zeiten entgegen gehen, das hatte ich schon lange im Hinterkopf. Wie sie aussehen würden und was das genau für uns bedeutet, konnte ich mir trotzdem nicht vorstellen und so habe ich auch jetzt Schwierigkeiten zu begreifen, dass wir uns scheinbar in solchen befinden oder uns vielleicht auch erst auf sie zubewegen? Eines war mir aber klar: Auf dem Land wären wir dann besser aufgehoben. Städte sind Brennpunkte und vor allem machen sie ihre Bewohner abhängig von äußerer Versorgung und somit verletzlich. Wenn daher nun ständig Kampf- und Kriegsansagen gemacht werden, knüpfen sie genau an den Bildern an, die damals zu der Überlegung führten, dass es Menschen mit einem eigenen Garten in solchen Zeiten besser geht. Die Wirklichkeit, wie ich sie jetzt erlebe, passt zwar noch nicht zu den politischen Ansagen, aber schließlich wurde uns verwöhnter Wohlstandsgesellschaft ja bereits aus Fachkreisen "ein lückenhaftes, wirklichkeitsfernes Bewusstsein über bestehende Katastrophenrisiken" attestiert. Naiv scheinen wir also allemal zu sein. Sollen wir nun besser Krisenstimmung samt Tatendrang pflegen oder doch weiter dem sorglosen Konsumentenglück frönen? Darf man schon ungestraft über Kollateralschäden reden, über kritische Infrastruktur nachdenken, oder doch nicht? Das kann den sensiblen Menschen per Doppelbindung leicht in den Wahnsinn treiben. So wähnt ein Teil von mir, dass bald alles wieder gut wird oder anders gut oder besser gut, während der andere mich zu erhöhter Wachsamkeit mahnt. Immerhin wurden wir nun auch von höherer Stelle angehalten, den Gürtel enger zu schnallen. Vorsorglich haben wir deshalb in diesem Jahr die Anzahl unserer Hochbeete verdoppelt und zusätzlich überall größere und kleinere Rabatten angelegt. Den geliebten Zuckerschoten, die auch einer unerfahrenen Gärtnerin wie mir bisher ganz wunderbare Ernten bescherten, haben wir dabei besonders viele Plätze eingerichtet - in kleinen Beeten und in einer "endlosen" Reihe entlang der hinteren Grundstücksgrenze, wo sie den hohen Wildzaun erklettern können. Bis sie reif sind gibt es Grünzeug aus der Natur (Brenn- und zweierlei Taubnessel, Vogelmiere, Giersch, Gundermann ...) und den ersten Pflückkohl mit vielen Kräutern aus dem Garten. Dann erinnere ich mich, wie beinahe unerschwinglich eine Handvoll Wildkräutersalat damals auf dem Berliner Winterfeldmarkt war und fühle mich hier prompt krisensicher.     

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