Kalt

Dieser Winter kommt mir wie ein Geschenk vor. Alles ist so schön und strahlend, voller ästhetischer Wunderwerke, wuchtig, massig, filigran, zart - wie Porzellan, Spitze, oder Zuckerbäckerei, wie feines Tuch und edles Polster. Die Menschen fahren Ski auf den  verschneiten Feldern, Familienväter ziehen mit ihren Autos in immer gleichen Runden Ketten von Schlitten hinter sich her. Das Lachen und aufgeregte Plappern der Kinder klingt weit in der sonst so stillen Landschaft. Die Gärten sind bestückt mit Schneemännern und selbst kunstvolle Iglus finden sich. Ich habe derweil alle Eitelkeit fahren lassen und stapfe in Werners übergroßen, doppelt und dreifach isolierten Gummistiefeln herum - ohne kalte Füße und deshalb stundenlang mit wachsender Begeisterung und zu Anouks größter Freude.

Trotzdem bin ich erleichtert, dass sich ein solch eisiger Winter erst im sechsten Jahr unseres Landlebens einstellt. Denn sonst hätte es uns wohl im wahrsten Sinne des Wortes kalt erwischt. Inzwischen aber sind wir schon so abgehärtet und vertraut mit den Launen der Natur, dass sich kein Bedrohungsgefühl mehr einstellt, nur weil die gute Stube in den besonders kalten Nächten auf neun Grad abkühlt und erst nach Stunden, in denen wir das Feuer im Ofen kräftig füttern müssen, wieder Temperaturen erreicht, die uns in Berlin stets selbstverständlich, normal und zivilisiert erschienen. Und auch wenn nun die Leitung im Keller zufriert und das Wasser morgens ausbleibt, erschüttert uns das nicht. Dann füllen wir halt einen Topf mit Schnee, stellen ihn auf den Ofen und haben genug für eine Katzenwäsche bis der Keller dank Propangas-Heizstrahler wieder enteist ist. Wir nehmens gelassen und sportlich, tragen gegen die Kälte nach dem Aufstehen die fast vergessenen Thermosocken doppelt und hüllen uns in kuschelige Shirts und dicke Bademäntel. Und die alten am Schaft zerfetzten, aber warm gefütterten Stiefel gelangen aufgepeppt mit bunten Filzresten zu neuen Ehren als Hausschuhe - Not macht erfinderisch und kreativ, wird zur Tugend und gebiert Zeitgeist, Stil und Fähigkeiten, die in satten Zeiten verkümmern müssten. Eins ist sicher, der Mensch kann viel mehr als er denkt ... aushalten :-).  

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