Bei einem Besuch in Uelzen ging ich mit unserem Hund an der langen Leine auf dem Bürgersteig spazieren. Als mir eine Frau entgegenkam, die sich ängstlich an die Hauswand drückte, nahm ich Anouk dicht an meine Seite und konnte das Aufatmen in ihrem Gesicht erkennen. Sie ging an mir vorbei und sagte: "Danke, es geht nicht gegen Ihren Hund. Ich hatte eine traumatische Erfahrung." Ich lächelte und erwiderte: "Gern, das verstehe ich." So war allen geholfen. Der Ton macht die Musik. Hätte sie mich angeblafft, meinen Hund gefälligst kurz zu halten, hätte sich die Situation für uns nicht so befriedigend entwickelt. Die freundlichen kleinen Gesten, die höflichen Rituale sind es, die das Miteinander angenehm machen und uns das gute Gefühl geben, eingebettet zu sein in eine wohlwollende Menschenfamilie, in der wir uns im Austausch befinden und harmonisch miteinander agieren. Wir können das sehr gut. Rücksicht muss man den meisten von uns nicht erst vorschreiben. Ist der Mensch auch nur halbwegs gut sozialisiert aufgewachsen, tun wir gern das Richtige. Wenn wir aber durch Ver- und Gebote dazu gezwungen werden, verlernen wir, in eigener Verantwortung, nach innerer Prüfung und Reflexion zu handeln. Wir verlieren unsere Autonomie, Erkenntnisfähigkeit, Mitgefühl und Menschlichkeit. Wir werden Befehlsempfänger.
Die Frau hat Angst. Sie weiß aber auch, dass die Angst in ihr selbst steckt und der Anblick des Hundes diese nur triggert. Und ich habe ebenfalls Ängste, auch solche, die sich verselbständigen. Im Gegenüber erkenne ich mich und kann empathisch reagieren. Kein Bürgersteigverbot für Hundebesitzer zum Schutz der Hundephobiker wäre so effektiv, wie einfache menschliche Rücksichtnahme und Einfühlung. Der Schaden dagegen, der durch die Spaltung der Gesellschaft in solche, die auf dem Bordstein laufen dürfen, und denen darunter in den Seelen aller angerichtet wird, wäre ungleich höher als das gelegentliche Misslingen einer problemlösenden Kommunikation.
Meine Freiheit endet nicht da, wo anderer Leute Angst beginnt! Diesen treffenden Satz habe ich gerade irgendwo gelesen. Denn wenn die Angst erst einmal die Herrschaft ergreift und jeden in ihren
Dienst nimmt, ist nichts mehr vor ihr sicher. Sie wird immer anmaßender und übergriffiger, sie wird von allen und jedem ein Maximum an Anpassung und Vorsicht verlangen bis vom Leben nichts mehr
übrig bleibt. Auch den Ängstlichen ist damit nicht gedient. Sie fühlen sich auf Dauer nicht geschützt, im Gegenteil verstärken die ritualisierten Vermeidungsstrategien und Zwangshandlungen, denen
sie überall begegnen, die eigene Angst noch.
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