Von der Wüste, der Lüge und der einen Blume

Wenn ich mir die Frage beantworten sollte, wie man gut durch diese Zeit kommt, dann würde ich mit zwei Weisheiten antworten: Einmal von Dostojewski, der überzeugt war, man dürfe sich niemals an einer Lüge beteiligen, und mit einer Zeile aus einem Lied von Gerhard Schöne: "Du sollst ja nicht die Wüste wässern, ... nur die eine Blume hüten, darin liegt dein Sinn."

Ist die Lüge erst überall und vereinnahmt auch das Gute für sich, dann braucht es feine Antennen, um sie auszumachen und einen starken Geist, ihr zu widerstehen. Denn wir haben ein solches Bedürfnis nach Zugehörigkeit und einem Leben ohne quälende Widersprüche, dass wir lieber in der Lüge leben, als außerhalb von ihr im Abseits zu stehen. Aber wie ein Philosoph in einem Interview kürzlich ausführte: Man bezahlt immer. Wer Stellung bezieht verliert, aber auch wer keine bezieht, kommt nicht ungeschoren davon. Nur handelt es sich einmal um einen Verlust in der Welt (Anerkennung, Stellung ...) - er ist sofort spürbar und schmerzhaft. Der andere dagegen bleibt zunächst unbemerkt, er kommt leise, schleichend und er kratzt von innen an der Substanz. Dostojewski erklärt das so: "Ein Mensch, der sich selbst belügt ... kommt an einen Punkt, an dem er weder in sich selbst noch in seiner Umgebung eine Wahrheit erkennen kann, und verfällt so in Respektlosigkeit gegenüber sich selbst und anderen. Da er niemanden respektiert, hört er auf zu lieben." Wenn ich ihm folge, beantwortet das auch meine immer wiederkehrende Frage der letzten zwei Jahre: Wie kann es sein, dass einst empathische, freundliche Menschen wie ausgewechselt hart und herzlos sind, zu Grausamkeiten in der Lage und unfähig zu erkennen, was sie anrichten? Bisher dachte ich, sie zeigten nun in Krisenzeiten ihr wahres Ich. Aber vielleicht ist es nicht ihre andere Seite, die sie geheim hielten, vielleicht sind sie das Opfer der Lüge, die ihre Liebe zerstört. Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wie man sich trösten kann, wenn man erkennt, dass man die Welt nicht verbessern, die Wüste nicht wässern kann. Dann hütet man nur die eine Blume ... und so lege ich am neuen Haus direkt neben dem Eingang ein Beet an, umrunde es mit Steinen, bedecke den alten Waldboden mit frischer Erde, setze bunte Primeln hinein und bin wieder glücklich für einen Tag.  

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