Trautes Heim

Mit Riesenschritten geht es dem Ende aller Baumaßnahmen zu. Die Lehmfassade ist getrocknet, der Kellereingang mit einem Dach versehen, die Veranda zu Ende gestrichen, die Dielen geölt und der aufgewühlte Garten durch erweiterte Beete und frisch gestreuten Kies versöhnt. Meine von all dem Chaos hüben und drüben noch weidwunde Seele sehnt sich nach Ruhe und Ordnung und ein bisschen Nostalgie. Da kommt mir die durch die neue Dämmung notwendig hinzugewonnene Fensterbank gerade Recht. Sie lässt sich so herrlich bilderbuchmäßig, heile-Welt-gerecht gestalten und zieht den herumirrenden Weitblick zurück nach Haus. Das ist tröstlich und allemal verständlich. Schon einmal haben sich die Menschen einer Epoche - schockiert von der Rückabwicklung erkämpfter Reformen und den Umbrüchen der industriellen Revolution - ins traute Heim zurückgezogen, sich gepflegter Gespräche, häuslicher Musik und schöngeistiger Literatur hingegeben, um dem hässlichen Gesicht einer unfreier gewordenen, maschinierten Welt zu entfliehen. Allerdings ... man musste es sich leisten können, die Probleme auszublenden. Derweil sich nämlich der bürgerliche Biedermann mit Frau und Kinderschar dem unschuldigen Vergnügen romantischer Naturbetrachtung hingab oder sich bei seichtem Lustspiel im Theater vergnügte, schufteten neben ihm die durch die neuen Gesetze vom Land Vertriebenen notgedrungen in lauten Fabriken und fristeten ihr freudloses Dasein in dunklen engen Behausungen. Daran schließt sich heute wie damals die Frage: Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Wie viel Rückzug ins Private mit seinen kleinen Freuden darf man sich erlauben, wie viel Gestaltungswillen fürs Gemeinwesen sollte man aufbringen? Wahrscheinlich muss das jeder für sich entscheiden, aber bestimmt schadet es nicht, sich grundsätzlich vor einer Kultur zu hüten und eine Gesellschaft meiden, die oberflächliche Zerstreuung in den Mittelpunkt des Lebens stellt und Ablenkung zur Norm erklärt.  

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