Vergissmeinnicht

Eine Freundin meinte einmal, im Garten fänden sich die Heilpflanzen ein, die der Mensch benötigt. Und irgendwo las ich, dass sich ein Stückchen vom Menschen bestelltes und behütetes Land auf diesen energetisch einstellt und aktiv für seine Gesundheit sorgt - vielleicht durch Gerüche, Schwingung, durch Mikronährstoffe in der Erde unter den Fingernägeln, vielleicht auch durch ein von Blumen angelocktes Insekt, das einem stechend eine homöopathische Dosis Wirkstoff verabreicht oder durch eine Nessel, deren heilsames Gift bei Berührung durch winzigste Kanülen in die Haut gelangt. Irgendwann an einem schönen sonnigen Tag, an dem das Grün in voller Kraft stand, kam mir dann der Gedanke, dass jemand, der so umgeben ist von Pflanzen und mit ihnen tagein, tagaus verkehrt wie wir, von ihnen durch alle Sinne und Organe genährt wird und nicht mehr nur simpel auf dem Weg durch den Verdauungstrakt. Ein Städter, so denke ich jetzt, dem es zwar nicht an Menschengemachtem fehlt, wohl aber an Gottes Werken, die wir gemeinhin Natur nennen, muss viel mehr von der Bingenschen Grünkraft als Nahrung zu sich nehmen, um an Leib und Seele gesund zu bleiben, als einer, der draußen von ihr durchdrungen wird.

In unserem Garten haben wir einen Hügel zur freien Besiedlung bereitgestellt. Auf ihm haben sich bereits im ersten Jahr Brennnesseln eingefunden, die uns seit dem in jedem Frühjahr mit ihren wertvollen Inhaltsstoffen aus dem Wintertief heraushelfen. Dazwischen wächst Minze, Labkraut und Gundermann, und Vogelmiere, wenn die anderen sie lassen. Jetzt hat sich auch Vergissmeinnicht dazu gesellt und nicht nur hier. Überall im Garten ist die hübsche Pflanze mit ihren entzückenden Blüten anzutreffen. Wäre sie nicht so schön, könnte man schon meinen: Beinahe aufdringlich! So als trüge sie wirklich die dringende Nachricht: Vergiss nicht! Ich fühle mich berührt von dieser invasiven und doch zarten Botschaft und frage mich, woran ich mich erinnern soll? Vielleicht wie es früher war, bevor dieser ängstlich aggressive Abstand unter die Menschen kam, dieses einseitige Hoffen auf die eine menschengemachte Lösung und mit der Enttäuschung das unentspannte Verharren im Zwanghaften? Oder soll ich mich erinnern an das schon vor langer Zeit verlorene Selbst- und Gottvertrauen? Also lese ich: Das Vergissmeinnicht wurde in der Volksmedizin bei der Behandlung von viralen und bakteriellen Infektionen verwendet und wird in der Homöopathie noch heute gegen Atemwegserkrankungen eingesetzt. Nun, es scheint so, als wolle mein Garten mich nicht unversorgt sehen, weswegen ich noch heute eine Urtinktur aus dem heilsamen Kraut ansetzen werde, um im Herbst, wenn Erkältung und Grippe wieder auf dem Vormarsch sind, auf sie zurückgreifen zu können.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ursula Kukureit (Dienstag, 26 April 2022 16:07)

    Liebe Anja, was für wunderbare Gedanken, die ich gut nachvollziehen kann. Manchmal geraten mir Überlegungen und Überzeugungen in Vergessenheit und werden überlagert. Danke, daß du mich erinnerst.
    Liebe Grüße sendet Ursula