
Almas Schatten am Rand ihres Wasserbeckens erinnert mich an Platons Höhlengleichnis, das den Menschen aufzeigen sollte, wie gefangen sie in der rein sinnlichen Welt sind. Den Objekten liegt Platon zufolge nämlich wesentlich die geistige Sphäre zugrunde, die in den Dingen lediglich ihren Ausdruck sucht.
Die Seele des Menschen strebt, so denke ich, bewusst oder unbewusst stets danach, die Welt zu dechiffrieren wie eine Geschichte, deren Bedeutung nicht in ihrer Handlung sondern in ihrer Botschaft liegt.
Das Gleichnis hat aber noch eine weitere Dimension. Wer aus der Höhle entkommt und das Geheimnis der Schatten lüftet, der wird nach Platons Ansicht beim Versuch, seine gefangenen Kameraden über ihre eingeschränkte Sicht aufzuklären, nicht als Befreier sondern als Gefährder wahrgenommen und - sofern es möglich ist - von ihnen sogar getötet werden.
Auf einer profaneren Ebene erinnert mich das an die Welt von heute, in der wir quasi doppelt gefangen sind, da sie für uns neben der greifbaren Welt, die es nach Platon per se schon zu durchgeistigen gäbe, eine mediale Welt aus Bildern bereit hält, die vielen das echte Leben ersetzt. Während sich unser freier Handlungsspielraum mehr und mehr verengt, wird uns als Ersatz ein Schauspiel geboten, das uns Leben scheint und indem wir durch "Likes" und Bewertungen von Nichtssagendem die Illusion von Mitbestimmung und Kontrolle erhalten. Aber wie den Gefangenen bleiben auch uns diejenigen verborgen, die die Objekte und Aussagen, die wir begutachten dürfen, auswählen und präsentieren.
Vielen genügt dennoch die Geschichte, die ihnen gezeigt wird. Sie haben sich eingerichtet in ihrer Höhle. Wer aber dahinter schauen will, wem schwant, dass die Schatten nicht alles sind, die Bilder nicht von selbst in die Welt kommen, sondern eines Erzählers mit ureigensten Interessen bedarf, der hüte sich vor seinen Mitgefangenen.
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