Der Stolz der Rose oder das warme Federkleid

Die Rose ist in Schönheit erstarrt, Alma hält ihre vier Eier warm, Johann weicht nicht von ihrer Seite, die Wachteln kuscheln sich ins Laub, Anouk bleibt gleich im Sessel. Werner lernt, angetan mit warmer Schutzkleidung, im Wald Bäume fällen und ich stapfe mit zwei Paar Socken in den dicken Stiefeln im Garten herum, verteile warmes Wasser und Futter an die Tiere und rede ihnen tröstend zu. Dann spalte ich Anmachholz, hole große Scheite aus dem Schuppen, entfache ein kräftiges Feuer im Lehmofen, vergrabe mich im Ohrensessel, lese und warte. Gut versorgt können uns die winterlichen Temperaturen nichts anhaben. Trotzdem traf mich die Kältewelle körperlich und seelisch noch unvorbereitet. Minus sieben Grad fühlt sich einfach bedrohlich an. Wie ein Schock fuhr es mir durch die Glieder, dass wir, anders als die wilden Tiere, ohne Hilfsmittel, ob modern oder archaisch, keine Überlebenschance haben. Ich kann mich nicht wie die Enten oder Wachteln in mein warmes Federkleid hüllen und an der Gelassenheit der stolzen Rose, in der Blüte ihres Lebens den Kältetod zu erleiden, mangelt es mir gänzlich. Wir sind nun einmal auf zivilisatorische Errungenschaften angewiesen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Da müssen wir uns auch nichts schön reden. Sicher, man kann Dinge zurückfahren, man kann sie besser machen, wir müssen sie auch besser machen, das steht außer Frage. Aber von heute auf morgen im Stil einer Schockstrategie Ausfälle und Kollapse im Energiebereich zu provozieren, bedeutet nichts anderes, als Leben zu opfern. Die ersten werden wie immer die Armen, Kranken, Alten und die Kinder sein. Das scheint man billigend in Kauf zu nehmen, weil es manchen effektiver erscheint, das Gebäude der Gesellschaft gleich ganz abzureißen, um aus den Trümmern etwas Neues aufzubauen, als das Haus unter Denkmalschutzaspekten umsichtig zu sanieren. Vielleicht müssen die, die von ihren Schreibtischen aus den Abriss so eifrig vorantreiben, einmal für eine Weile allein in einem Blockhaus fern aller Zivilisation leben, um zu verstehen, dass es mit Kniebeugen, Händeklatschen und einem zweiten Pullover nicht getan ist.   

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Kommentare: 2
  • #1

    Ammo (Montag, 21 November 2022 05:29)

    Das ist ja wundervolles Federvieh! Ich bin auch immer wieder begeistert, wie stoisch Tiere das schlechteste Wetter aushalten können, während wir uns einpacken können, wie wir wollen und trotzdem frieren.

  • #2

    Doris (Mittwoch, 23 November 2022 12:42)

    Ich habe mir den Wetterumschwung herbeigesehnt! Es kann ja nicht immer nur die Sonne scheinen (passt gut zur Spaßgesellschaft). Wir brauchen den Regen, den Herbst und ja auch den kalten Winter. Doch nun ist es auch mir kalt und das Kräutersuchen wird nun anstrengender. Trotzdem ist der einsame Wald mit seinem Schneekleid Balsam für die Seele.