So wie man nicht zweimal in den selben Fluss steigen kann, so kann man auch nicht zwei Mal das gleiche Märchen lesen. Immer ist etwas im eigenen Leben hinzu gekommen, das einem eine neue Perspektive eröffnet. So bin ich in die Erinnerung des im Nachbardorf so liebevoll nachgestellten Märchens Schneewittchen hineingetaucht und bleibe anders als früher nun an der alten Königin hängen, die so verzweifelt ihren Spiegel befragt und ihr ganzes Lebensglück von seiner Antwort abhängig macht. "Ihr seid die Schönste im ganzen Land". In der Welt der sozialen Netzwerke finden wir das wieder. Man präsentiert das Idealbild seiner selbst, auf dass man für glücklich, ausgefüllt und erfolgreich gehalten werde. Aber es ist nicht das Einzelbild vom Fotografen, für das man sich einmal aus seinem gewohnten Leben herausgerissen, schick gemacht und sein bestes Lächeln geübt hat, es ist zur täglichen Soap geworden, in die man hineingezogen wird mit immer neuen Gewändern in immer neuen Szenen. Die unausge- sprochene Frage dahinter ähnelt der der alten Königin: Wer ist die Schönste ...? Wer bin ich? Und wie der Spiegel bestätigen auch hier die Anderen mit ihren Gesten das Fremdbild bis es irgendwann zum Selbstbild wird. Als hätte man die Seiten gewechselt und schaute nun nicht mehr aus sich heraus, sondern von einem imaginären Punkt auf sich als das goldene Kalb, das man aus sich machte und um das man fortan tanzen muss. So entsteht ein neuer Zeitgeist der eitlen Ichs. Ob dabei etwas verloren geht von der Tiefe und Vielschichtigkeit des Menschseins oder es nur verschüttet ist, findet der Einzelne oft erst heraus, wenn der Daumen nach unten zeigt, er das Zeichen wörtlich nimmt und unter die Oberfläche schaut.
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Doris (Freitag, 23 Dezember 2022 08:30)
Oh wie Recht du doch hast. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin sehr ich so viel unnatürliche Menschen und denke "Was habt ihr nur gemacht " Das Natürliche in uns ist viel besser als jede Schmike, die läßt nur eine hässliche Fratze entstehen. Soziale Netzwerke hätten einen besseren Zweck zu erfüllen als unnatürliche Träume zu potenziellen. Danke für deinen guten Beitrag. Du wieder total mei en Nerv erreicht. Schönes Fest in aller Ruhe! Leider sind einige Kommentare von mir nicht angekommen. Ich hoffe dieser erreicht dich!!
Doris (Freitag, 23 Dezember 2022 09:58)
Ich glaube ich habe meinen Fehler beim Blog Eintrag gefunden: vor dem Senden muss man auf Datenschutz klicken, auch wenn man den schon mal beachtet hat... Na ja mach ich dann eben... Ganz liebe Grüße aus dem Südharz
Doris (Freitag, 23 Dezember 2022 10:00)
Nochmal ich: Tolle Szenen und Figuren die du da fotografiert hast.