Zwei Wunder

Ich denke nicht, dass Menschen begannen, an einen Gott oder an Götter, an höhere Mächte und Weltenlenker zu glauben, weil sie unwissend waren und Experten ihnen noch nichts anderes erzählen konnten. Eher glaube ich, dass angesichts all des Wunderbaren und Unerklärlichen auf dieser Welt an einen Schöpfer zu glauben das Naheliegende ist. Erst als die Wissenschaft die Deutungshoheit über die Welt errang und auf halbem Weg zur Erkenntnis ein Schild mit der Warnung "Weitergehen verboten" aufstellte, sah sich der Mensch als nun Aufgeklärter gezwungen, stehen zu bleiben und den dahinter liegenden spirituellen Pfad in seiner Existenz zu verleugnen.  

Alma hat aus ihren vier Eiern zwei putzmuntere Küken ausgebrütet. Dabei hat sie unendlich viel beachten müssen. Auf ein halbes Grad einzuhaltene Temperatur und gleichmäßige Luftfeuchtigkeit sind nur zwei Beispiele. Das weiß ich, weil ich mit einem Brutautomaten Wachtelküken ausgebrütet habe und dabei keine ruhige Minute hatte. Und das, obwohl der Apparat keine eigenen Bedürfnisse hatte wie eine richtige Mutter und er noch dazu in einem gleichmäßig temperierten Raum stand. Alma dagegen saß in der freien Natur in ihrem Nest. In den ersten Wochen war es meist mild, trotzdem schwankten die Temperaturen schon beträchtlich. Mal regnete es, mal wehte ihr der Wind in dem kleinen erhöhten Stall, den sie sich zum Brüten aus vielen anderen Angeboten ausgesucht hat, kalt um die Nase. Am Ende der fünfwöchigen Brutzeit war es dann nachts bitterkalt. Trotzdem ist es ihr gelungen, den sich entwickelnden Küken im Ei eine konstante Temperatur und die optimale Luftfeuchtigkeit zu erzeugen. Täglich mussten die Eier von ihr mehrmals gewendet werden, damit der Dottersack nicht innen am Ei festklebt. Einige Zeit vor dem Schlupf dagegen sollen die Eier ruhen, damit die Kleinen sich orientieren können, um die richtige Stelle zum Anpicken der Schale zu finden. All das wusste Alma. Warzenenten sind wirklich ganz bemerkenswerte Wesen. Jemand hat ihren Charakter einmal als eine Mischung aus Katze und Papagei beschrieben und ich denke, das trifft es ausgezeichnet. Ganz ohne Zweifel, sie sind sehr klug, aber so klug, dass sie aus sich heraus verstehen und berechnen können, wie sie es anstellen müssen, um aus einem Ei ein Küken hervorzubringen, das übersteigt gewiss ihren Entenverstand. Woher kommt also ihr Wissen? Wer oder was hat das ganze Prozedere ausgetüftelt? Oder haben einfach viele Almas viele Fehler gemacht, am Ende daraus gelernt und das Ergebnis in den Genen festgeschrieben als eine Art Programm für die Art? Das wäre geheimnisvoll genug, dürfte aber in diesem Fall unmöglich gewesen sein, weil schon ein einziger Fehler bei der Brut dazu führt, dass kein einziges Küken schlüpft und somit die Reihe derer, die aus Fehlern hätten lernen können, zusammenbricht. Die Information muss daher schon mit der ersten Alma dagewesen sein, schließe ich und kreise weiter um das "Woher". Zu einem Ergebnis komme ich nicht. Aber bevor ich dieses Wunder des Lebens entwürdige mit zu Erklärungen hochstilisierten Beschreibungen von Mutation und Auslese, will ich lieber unaufgeklärt bleiben und glauben, dass dieser Welt mit ihren unendlichen Erscheinungen eine höhere Macht zugrunde liegt. 

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