Familienbildungsstätte

In der ersten Woche ihres Kükenlebens war es so bitterkalt, dass wir sie kurzerhand mit ihrer Mutter Alma ins Gästehaus einquartierten, wo wir den vorderen Bereich abgetrennt, dick mit Stroh ausgelegt und dank des Holzofens auf angenehme Temperaturen gebracht haben. Für die Kleinen war es eine schöne Zeit: Mama war immer da und auf den acht Quadratmeter gab es genug zu entdecken, wenn man noch so neu in der Welt ist. Alma dagegen begann sich nach einigen Tagen der Erholung vom langen Brutgeschäft und der Kindsanbetung zu langweilen und animierte den vor dem Fenster postierten Johann zu Unsinn. Manchmal gelang es ihr und dann rannte Johann wild mit den Flügeln schlagend durch den Garten, um sich kurze Zeit später kopf- und gefiederschüttelnd zu besinnen und erneut auf seinem Ausguck sitzend in den Anlick von Frau und Kindern zu versenken. Endlich wurde es dann milder und wir konnten die Terrassentür zum Gästehaus öffnen. Für Alma war es keine Minute zu früh. Ihren Kindern erteilte sie lautlos die Anweisung, still und reglos im Stall zu bleiben. Dann sah man sie zum Wasserbecken fliegen und eine gefühlte Ewigkeit planschen und tauchen. Sogar Johann, der es wie viele Warzenentenerpel nicht so genau nimmt mit der Körperpflege, ließ sich von soviel Reinlichkeit anstecken und führte an seiner Wasserschüssel zeitgleich rituelle Waschungen durch. Im Anschluss an die ausgiebige Gefiederpflege inspizierte Alma dann, vom begeisterten Johann auf Schritt und Tritt begleitet, in aller Ruhe den Garten. Ich derweil stand tausend Ängste aus, ob sie wohl ihre Kinder vergessen hätte. Endlich kehrte sie dann aber doch zu ihren Küken zurück und wurde mit viel Gefiepe und hochgereckten Schnäbeln begrüßt. Inzwischen haben wir eine Rampe zum Gästehaus gelegt, die Terrasse mit einer Plane abgedeckt und mit Bonanzabrettern kükensicher umzäunt. Nun trauen sich auch die Kleinen mit Mamas Erlaubnis raus und lernen begeistert weiter: Durch Dreckpfützen schnäbeln, lange Grashalme herunterschlucken, Wurzelballen ausschütteln, als Erster einen Mehlwurm entdecken, einem Insekt, das vorbeifliegt, mit langgestrecktem Hals im Laufschritt nachjagen, dem Geschwister alles aus dem Schnabel klauen was nicht bis drei darin verschwunden ist, Mama rufen, wenn man sich plötzlich doch ganz klein und verlassen fühlt, sich vor Papas Riesenfüßen in Acht nehmen und zu ihm hinaufschauen ... weil: so groß muss man ja erst einmal werden. Alma ist sichtlich hin- und hergerissen zwischen ihren Mutterpflichten und dem Drang, endlich wieder frei zu sein. Wenn ihre Kleinen rufen scheint sie zu überlegen, ob sie wirklich sofort zurückkehren muss, oder doch noch einmal schnell ins Wasserbecken springen kann. Manchmal lugt sie auch nur kurz über die Umzäunung der Terrasse, beruhigt ihre piepsenden Küken und bricht zu einem weiteren Streifzug auf. Sie ist noch jung, es ist ihre erste Brut und sie hat viel nachzuholen. Eine fürsorgliche Mutter und aufmerksame Lehrerin ist sie dennoch und die Kleinen danken es mit Neugier, Gelassenheit und Lebensfreude. Sie fühlen sich gut aufgehoben bei ihren Eltern und in dieser Welt. Und dass ich ein wenig an diesem Glück beteiligt bin, das macht mich seltsam froh und bringt mich Weihnachten ein Stückchen näher.

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Kommentare: 1
  • #1

    Doris (Samstag, 24 Dezember 2022 11:16)

    Kleine Pause. Ja, es nochmal was im Blog... Ich spüre das Leben bei deinen Schilderungen auch in mir. Sind wir doch auch Mütter. Egal ob Ente oder Mensch, alles wiederholt sich. Damals im Stall und immer, immer wieder. Danke das du für uns das Leben immer wieder als das Wunder, was es ja ist, beschreibst! Weihnachtliche Grüße aus dem Südharz