
Werner und ich machen uns viele Komplimente. Aber die meisten sind wie Blumen, kleine hübsche Dinge, die wir uns überreichen, weil wir so froh sind, uns zu haben. Unter diesem Gesichtspunkt sind sie immer echt und ernst gemeint. Die richtigen Komplimente dagegen fallen schon rarer aus. Das liegt daran, dass wir uns lange kennen und schon "alles" gesagt ist, dass wir Entwicklungen gemeinsam durchlaufen und uns der andere daher nur noch bedingt überraschen kann. An einem kalten windigen Tag aber meinte Werner etwas, das mich verblüffte und mich prompt aus seiner Sicht betrachten ließ. "Du bist ganz schön abgehärtet geworden". Es war anerkennend gemeint und da sah ich mich prompt aus seiner Sicht, wie ich zwischen Gießkannen voll eisigem Brunnenwasser hocke und mit vor Kälte roten Händen Schüsseln auswasche. Und vor meinem inneren Auge entstanden weitere Bilder, in denen ich Schubkarren voll Holz und Briketts aus dem hinteren Garten hole, wo ich Anouk helfe, Teile von einem toten Reh aus dem Wald nach Hause zu tragen oder mir Kübel mit Entenmist wie Kleinkinder auf die Hüfte setze und zum hintersten Beet trage. Er hat wohl Recht, zimperlich bin ich schon lange nicht mehr. Ich miste das Wachtelgehege und den Entenstall mit bloßen Händen aus und reibe die unzähligen Arten Schmutz, derer es in einem Garten ebenso viele wie Sorten Schnee bei Fräulen Smilla gibt, der Einfachheit halber nur noch an meiner uralten Gartenjacke ab, die zu waschen mir bald nicht mehr einfällt. Werner hätte auch sagen können: Du bist ein rechter Schmörgel geworden. Auch damit hätte er richtig gelegen und dann denke ich halb wehmütig, halb verwundert an mein Alter Ego, das besser gekleidet, mit hübschen Schuhen und sauberen Händen im großstädtischen Mikrokosmos mit seinen menschengemachten Regeln und Werten verkehrte und auch das seinen ganz eigenen Reiz hatte. Dennoch, wenn ich mit meinen schmutzigen, weil nie geputzten, übergroßen, dafür aber herrlich warmen Gummistiefeln durch den Garten gehe und dabei höre und fühle, wie ich kräftig ausholend schwere Schritte setze, dann weiß ich, hier gehöre ich hin. Wenn ich mit den Enten im Kompost nach Regenwürmern suche, den Garten versorge und den Tieren gut zurede als meinte ich meine Seele, bin ich ganz bei mir und im Augenblick der Reflektion spüre ich, dass genau das für mich Glück bedeutet; dann kommt mir ein Auspruch in den Sinn, den ich irgendwann in irgendeinem Buch las und der mir bis heute nachhängt: "Es ist nicht meine Aufgabe, an mich zu denken. Das ist Gottes Aufgabe. Meine ist es, an ihn zu denken." .
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Doris (Donnerstag, 02 Februar 2023 16:08)
Oh, das ist so schön und ich fühle zurückversetzt an die Zeit als ich dein BUCH das 1. Mal las. Ich gehe mit dir durch den Garten, spüre Kälte die doch Naturwärme ist und bin ganz in Hier und Jetzt.... Danke!
Ursula Kukureit (Freitag, 03 Februar 2023 16:52)
Liebe Anja, was für ein wunderschöner Beitrag! Und auch ich komme in den Genuß deiner "Power" und denke, früher hatte ich auch etwas davon. Wie gut, daß mich Pauline regelmäßig nach draußen lockt, egal wie eklig das Wetter ist.
Alles Liebe, Ursula