Biophilie

Radieschen und vier Sorten Salat sind gesät, Topinamburwurzeln in die Erde versenkt, Petersilie vom letzten Jahr umgepflanzt, die Kübel für Tomate, Zucchini, Gurke und Kürbis unter das Dach der Gästehausterrasse gerückt und mit einer Mischung aus Mutterboden und unserem eigenen Kompost gefüllt sowie weitere Beete für die kommende Saat vorbereitet. Für den Moment ist getan, was zu tun ist. Ich schaue in den Garten, vorbei an Töpfen mit samtig orangen Hornveilchen auf die in voller Blüte stehenden Forsythien, ich sehe meine Enten, wie jede ihr eigenes Ding macht und nun auch Almas Nachwuchs. Zwei winzige Küken, die im Abstand von zwei Tagen geschlüpft sind und jetzt beginnen ihren Lebensraum zu erkunden. Es ist, glaube ich, ihre Unschuld, ihre Arglosigkeit, mit der sie alles betrachten und dieser auf winzigen Füßchen herumlaufende Eroberungswille, der sie so anziehend macht und mich so wehmütig. Ich kann nicht genug davon bekommen, ihnen zuzusehen und während ich mich mit diesem und jenem beschäftige, fühle ich mich ein in ihre Welt und mache mir meinen eigenen Reim auf die vielen kleinen Gesten und Stimmungen, die ich wahrnehme. Für den Moment kann ich mir nichts Schöneres denken. Alle Angebote der Welt treten zurück hinter der Bereicherung durch das neue Leben. C.G. Jung nennt diese Liebe zum Leben und allem Lebendigen Biophilie. Mich tröstet dieses Wort, als würde es meinen Gefühlen und der "sinnlosen" Betrachtung eine Legitimation geben. Es ist rundum gut, dem Lebendigen zu verfallen und sich mit jeder Faser seiner Seele mit ihm zu verbinden. Ich lerne mit diesem Wort im Hinterkopf alte Prägungen abzuschütteln, die von Sinn und Nutzen sprechen, von Zeit und Zeitverschwendung und von der Aussichtslosigkeit, den glücklichen Istzustand für alle Zeit festzuhalten. Ich übe mich darin, nicht mehr so weit in die Zukunft zu blicken, sondern mich am Leben als unsterbliche Kraft immer neuer Anfänge und unzählbarer Ausdrucksformen zu erfreuen - jetzt!  

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Kommentare: 1
  • #1

    Doris (Samstag, 08 April 2023 12:03)

    Fragt man einen Bären wie spät es ist, dann antwortet er:" Was heißt wie spät? Es ist jetzt!" Wir wollen uns im Jetzt üben. Was war ist vorbei und was kommt wissen wir nicht. Leben heißt JETZT!! Frohe Ostern und ganz liebe Grüße Doris und Roland